Fotos Mathias Husmann |
Fotos Frauke Wehrmann
Pressestimmen
DIE WELT, 10.09.2015
Gala vor der Scala
Gelungene Uraufführung der Oper "Verdi und die Dame mit Noten" von Mathias Husmann am Allee Theater
Sie war Primadonna, Sexobjekt, Mutter dreier unehelicher Kinder, Muse, Geliebte, Ehefrau und Gefährtin:
Giuseppina Strepponi, salopp gesagt, die bessere Hälfte des Komponisten Giuseppe Verdi, über ein knappes
halbes Jahrhundert hin. Am 8. September jährte sich ihr Geburtstag zum 200-sten Male. Anlass für die
Hamburger Kammeroper, exakt am Geburtstag dieser ganz und gar ungewöhnlichen Frau, ein musikalisches Denkmal
mit der Uraufführung "Verdi und die Dame mit Noten" zu setzen. Der Hamburger Komponist und Librettist
Mathias Husmann hatte von der Kammeroper den Auftrag erhalten, entscheidende Jahre aus dem Leben der 1897
gestorbenen Strepponi zu vertonen. Ein Wagnis für das kleine Opernhaus, das mit Respekt heischendem Erfolg endet.
Und eine großartige Erinnerung an eine Frau, ohne die Verdi wahrscheinlich nicht zum Ruhm gekommen wäre.
Husmann macht sich als Komponist nicht klein im Schatten des großen Verdi, dessen Musik immer wieder zitiert
wird. Er lässt sich nicht einschüchtern von dessen Melodien. Er setzt sich in gemäßigter Moderne stilistisch
klar ab von dessen ingeniöser Musik und gewinnt mit rezitativisch gehaltenen Passagen und ariosen Aufschwüngen,
die nicht selten der seelischen Verfassung der Protagonisten nachspüren, starke dramaturgische Akzente hinzu.
Seine Musik habe Charakter, ermutigt die Strepponi zu Beginn der Oper den jungen Verdi. Von Husmanns Musik
ließe sich das gleiche sagen. (…)
NDR 90,3, 9.9.2015
Verdis Entdeckerin als Opern-Heldin
Eine ganz große Oper im ganz kleinen Haus: An der Kammeroper wurde Dienstag eine Uraufführung stürmisch gefeiert.
Das Stück heißt "Verdi und die Dame mit Noten", komponiert von Mathias Husmann, seinerzeit Dirigent bei den
Hamburger Philharmonikern und an der Hamburgischen Staatsoper. Husmann hat auch das Libretto geschrieben und
erzählt die wahre Geschichte der Sängerin Giuseppina Strepponi, der Entdeckerin von Giuseppe Verdi.
Husmann lässt sein Stück anspruchsvoll beginnen, mit modernen, fast aggressiven Klängen - und mit einer ziemlich
unsympathischen Figur: Martin Lindau spielt einen Künstler-Agenten auf Entdeckertour. Eine zwiespältige Figur,
das wird deutlich in Text und Ton. "Dabei bin ich ein gefallener Engel", erzählt er auf der Bühne.
Aber dann: der Auftritt der ganz jungen Giuseppina Strepponi, die in ihrer ersten Szene zum Vorsingen antritt.
Jetzt wird es klassisch - und richtig schön. Luminita Andrei spielt und singt die Rolle mit Hingabe - klar,
ausdrucksvoll und emotional.
Die moderne Musik von Husmann trifft auf zahlreiche Zitate aus dem bekannten Repertoire. Auf Melodien von
Rossini, von Bellini, Donizetti und natürlich von Verdi. Dieses Mit- und Gegeneinander reizte Regisseur
Andreas Franz von Anfang an. "Es ist eine Kombination, die sehr gut gelungen ist und ich empfinde auch die Musik
von Husmanns als eine sehr psychologische Musik, die sehr gut die inneren Emotionen beschreiben kann", sagt er.
(…) Ein wunderbares Duett liefern die beiden - aber Komponist und Librettist Husmann ruht sich niemals auf den
bekannten Melodien aus, er zitiert sie nur, baut viele raffinierte Bögen zu den kühleren Klängen des 21. Jahrhunderts.
Zwischendurch wird es immer auch richtig kantig, etwa wenn Verdi und Operndirektor Merelli, gesungen von
Titus Witt, aufeinandertreffen. Das ist durchaus anspruchsvoll - und das Publikum nahm die Herauforderung begeistert an.
Der Komponist Mathias Husmann nimmt sich selbst übrigens gar nicht wichtig. "Ich interessiere mich für die
Personen, ich interessiere mich nicht so sehr für meine Musik, sondern für die Fenster, Stufen, Treppen, für
die großen Momente in der Musikgeschichte, um die es da geht", sagt er.
Und ein ganz großer Moment der Musikgeschichte ist natürlich die Premiere von "Nabucco" im März 1842.
Auch sie wird am Ende dieser großartigen Aufführung nachgestellt. (…)
"Meine Musik öffnet Türen."
Interview mit dem Komponisten Mathias Husmann
Ich treffe Mathias Husmann im schönen Foyer des ALLEE THEATERS. Wenn es ein Klischee des Dirigenten
gibt – ekstatisch, raumgreifend –, dann scheint er auf den ersten Blick das genaue Gegenteil zu sein. Er hat
etwas, das selten geworden, dabei aber so wichtig ist im Kulturbetrieb: Demut. Setzt seine Worte so, wie
er seine Töne setzt: bedächtig und gleichermaßen bestimmt. Der geborene Generalmusikdirektor.
Beim näheren Zuhören nämlich offenbart sich, dass sein Ton piano sein mag – was er indes zu sagen hat,
klingt oft als fortissimo nach.
Herr Husmann, worum geht es in der Dame mit Noten? Besser: Worum geht es Ihnen
Es ist ein Stück Geschichte des bedeutendsten Opernhauses der Welt, der Mailänder Scala, in einem historischen
Moment. Bzw. einem Moment, der sich später als historisch herausstellte: Die frühe Begegnung zwischen
Giuseppe Verdi und Giuseppina Strepponi, zugleich die Geburtsstunde des "Nabucco".
Es ist fürs Publikum ein seltener Blick hinter die Kulissen, ein Kammerstück in der Fabrik namens Oper.
Weil sich tagsüber am Theater oft Vulkantätigkeit ereignet, ist es ein Wunder, dass dann abends
noch Kraft da ist, den Vorhang aufgehen zu lassen. Das wird der Zuschauer hautnah erleben. Und dann ist es
natürlich ein Frauenschicksal in einer bestimmten gesellschaftlichen Situation.
Die Situation einer unverheirateten Frau im katholischen Italien des 19. Jahrunderts, …
… die lediglich arbeiten durfte, solange sie unverheiratet blieb. Und als Unverheiratete nur unzureichend
geschützt war. Giuseppina Strepponi musste ihre verwitwete Mutter und zwei debile Schwestern versorgen.
Sie musste Karriere machen. Sie musste sich durchsetzen. Die vier Stücke, die ich bisher fürs Musiktheater
gemacht habe, zeigen allesamt starke Frauen.
Wo wir schon bei Stärken sind: Im „Neuen Merker“ steht 2009 zu lesen, Mathias Husmann sei ein starker
Komponist, der zugleich ein starker Dramaturg sei. Kann man denn das eine ohne das andere sein – zumindest
dann, wenn es um Musiktheater geht?
Die Gesamtschau eines Stückes ist meine Stärke. Es gibt ja Tondichter von Rang, die keine Theaterkomponisten
sind und trotzdem Opern geschrieben haben. Die mit Kraft – wie Verdi – in die Dramaturgie eingegriffen haben.
Andererseits gibt es Künstler, die gestört haben. Weil sie an musikalischen Details hingen. Ich habe etwa
120 Opern dirigiert. Es gibt Komponisten, große Komponisten, die besser fürs Theater nicht geschrieben
hätten. Ich möchte das mal so stehenlassen.
Ich glaube, dass Musik fürs Theater klar und einfach sein muss. Weil man nur mit einem Teil seiner Sinne bei
der Musik ist. Man sieht, dazu hört man. Und der Text fällt unter die Hälfte, die man hört, ist also schon
nur ein Viertel. Ein Text, der gesungen wird, kann nicht einfach genug sein, weil die Musik ihn nicht einfacher
macht. Sie gefährdet eher die Verständlichkeit, setzt sich und ihre Emotion an die erste Stelle.
Wenn ich etwas schreibe, dann so einfach wie möglich – in der musikalischen Sprache genauso wie schon im Text.
Ich schaffe Situationen, die keine einleitenden Erklärungen brauchen. Anders als im Roman – wo erst seitenlang
die Morgenstimmung geschildert wird – springe ich mitten hinein in die Geschichte.
Tun wir das! Was also war die Initialzündung für Ihre Oper?
Erst letztes Jahr gab es hier am Haus ein Publikumsgespräch mit dem Titel „Was Sie schon immer über Oper wissen
wollten, aber nie zu fragen wagten“. Ich wurde eingeladen, um als „special guest“ mit 40 Jahren
Theatererfahrung aus dem Nähkästchen zu plaudern. Ich komme also ins Haus und sehe einen Rundhorizont
des Teatro alla Scala ausgeschlagen. (Er zeigte eigentlich La Fenice, aber das habe ich nicht gleich erkannt.)
Schlagartig fällt mir ein, dass ich anlässlich des Verdi-Jahres 2001 bereits ein Opernkonzept entwickelt hatte,
dass in der Scala spielt.
Marius Adam trommelt wenige Tage später die gesamte Leitung zusammen, ich trage vor. Nach zehn Minuten steht
Uwe Deeken auf, reicht mir die Hand und sagt: „Wir machen das, Sie haben den Auftrag.“ Das I-Tüpfelchen war
dann noch, dass der 8. September 2015, der 200ste Geburtstag Giuseppina Strepponis, als Premierenabend möglich
war. Die Sterne standen und stehen günstig.
Apropos Sterne: Sie sagen, dass man für jedes Werk aufs Neue Ausgangspunkte finden müsse. Die ersten drei
Fixsterne markieren den Raum, das Koordinatensystem, in dem man sich bewegt. Welche Punkte wären
das in diesem Fall?
La Scala. Die Strepponi. Verdi. Ein Stück über eine historische Sängerin wird Arien enthalten, die sie
gesungen hat, die damals modern war. Man wird ihr Repertoire und ihre Entwicklung erleben, bis sie mit der
Abigaille den Bogen überspannte. Vielleicht wegen der Schwangerschaften. Oder weil sie zu oft
auftreten musste. Ihr Kampf mit Attesten ist belegt. Sie versuchte, sich freizukämpfen, nicht jeden Tag singen zu müssen.
Und dann natürlich: Welche Entwicklung hat Verdi genommen? Da ist sein Erstlingswerk, "Oberto". Ein Stück
mit wunderschönen Melodien, aber noch ganz auf dem Schoße seiner älteren Kollegen geschrieben. Dann aber
– nach der Krise – dieser rotzige Ton, das „Jetzt könnt Ihr mich alle mal!“ in „Nabucco“. Wer da mit offenen
Ohren sitzt, wird das wahrnehmen. Zumal kaum einer das frühe Werk kennen dürfte. Das mag unter anderem daran
liegen, dass "Oberto" ursprünglich für Sopran und Bariton gesetzt war, Verdi aber gezwungen wurde, die Oper
für Mezzosopran und Bass umzuschreiben. Das konnte damals nicht gutgehen, und darum genießt das Stück auch
heute eine, sagen wir: begrenzte Wahrnehmung.
Ich habe Passagen transponiert, in die vermutlich originalen Tonarten. So, wie Verdi es der Strepponi vorgespielt
haben dürfte – die sich sofort für ihn und seine Musik begeisterte.
Stimmt es dann, was das „Opernglas“ 2009 schrieb: Ihre Tonsprache könne getrost „zeitgenössische Klassik“
genannt werden? Sehen Sie sich selbst als Neoklassizisten oder ist dieses Etikett unpassend – wenn nicht gar
hinderlich?
Keines von beidem – abhängig davon, was man unter dieser Zuschreibung versteht. Ich wende ein bestimmtes
musikalisches Problem, ich vereinfache. So lange, bis es eine klassische Klarheit gewonnen hat.
Auch wenn der Ansatz modern ist, will ich ja mein Publikum erreichen.
Ich selbst sehe mich eher postmodern. Wenn ich solche Begriffe überhaupt ernst nehme. Ich bin aufgewachsen
als Sohn einer Pianistin. Die Götter meiner Jugend waren Chopin und Schumann, Bach und Beethoven – das,
was meine Mutter spielte. Das Zeitgenössische in der Musik habe ich dann vor allem in meinem Beruf
kennengelernt, als Dirigent. Und natürlich habe ich mich mehr als die Hälfte meines Lebens mit den großen
Meistern beschäftigt. Meine Arbeiten wollen vor diesen Kritikern bestehen.
Das zeigt sich auch in Ihrem Umgang mit musikalischen Zitaten. Die sind nie plakative Kopie, sondern klingen
eher als Erinnerung an.
Ich gehe diesmal sogar noch weiter. Meine Musik möchte Türen öffnen – immer zum nächsten großen Stück hin.
Der Zuhörer erlebt zwei richtige Bellini-Arien. Und eine zentrale Szene der
„Nabucco“-Premiere, bei der ungewöhnlicherweise drei Herren im Publikum sitzen, die Kommentare geben.
Zu dem, was sie erleben und zu ihrer eigenen Befindlichkeit. Die sozusagen den Vortrag „durchlöchern“.
Mit den Herren meinen Sie…
Den Agenten Cirelli, wohl der Vater von Giuseppina Strepponis erstem Kind. Ich habe versucht, seine eigentümliche
Berufsauffassung und Lebensphilosophie durchaus nicht unsympathisch darzustellen, wenn auch schrullig.
Merelli – der damalige Impresario der Scala – ist mit ihm im Saal, zittert um das Gelingen der Aufführung.
Er soll sie ebenfalls missbraucht haben. Es lässt sich ja nichts beweisen. Doch es könnte in so einer Situation
geschehen sein, dass die Strepponi den Spieß einfach umgedreht hat. Nach dem Motto: Wenn ich schon ausgebeutet
werde, mache ich wenigstens aktiv Besetzungspolitik. Ich stelle mir Giuseppina sehr vital vor.
Der dritte Herr im Saal ist Verdi, der gerade dabei ist, sich selbst neu zu finden – oder neu zu erfinden.
Daran hat die wütende Gardinenpredigt, die ihm die Strepponi gehalten hat, nicht geringen Anteil.
In meinem Stück sollen Sie etwas erfahren. Über das Leben am Theater. Über die Scala. Über die
Dame mit Noten und über den Mann, um den es ihr von Anfang an geht. Ich möchte diese verschiedenen Elemente zu
einem Ganzen verbinden, das ist mein Ehrgeiz. Ich will ein lebendiges Stück schreiben für die Leute, die ins
Theater gehen. Wenn hinterher nach dem Komponisten gefragt wird – dann lache ich.
Das Interview führte Jan Hendrik Buchholz
Nordkurier, 27.1.2014
Rezension
"Hier sind wir zu Hause und verwurzelt", lautet das Credo des Preußischen Kammerorchesters.
Und das bereits seit 60 Jahren. Grund genug, das Jubiläum mit einem Festkonzert im Kultur- und Plenarsaal
am Freitag gebührend zu feiern. Zu den treuen Weggefährten der "Preußen" gehört der Komponist und
Dirigent Mathias Husmann, der diesem Abend seinen Stempel aufprägt. Zum Jubelfest hat er eine
"Uckermarker Rhapsodie" geschrieben und sie der Streicherstammbesetzung der "Preußen" maßgeschneidert.
Das Ergebnis: eine in ohrenfreundlicher, neoromantischer Machart geschriebene Novität.
Die einprägsame Musik beginnt mit melancholischen, sich klangschön ausbreitenden Betrachtungen,
die die Weite der Landschaft assoziieren. Dann schwingt sich ein Walzer empor, wechselnd zwischen kecken
und sanftmütigen Passagen, von Konzertmeisterin Aiko Ogata in brillanter Klangfärbung ausdrucksstark vorgetragen.
Im rhythmisch prononcierten Tango-Teil übernimmt Solocellist Bálint Gergely mit ausladendem,
sonorem und dunkel glühendem Ton die Federführung. In einer elegischen Solokadenz wetteifern beide schließlich
als ein flotter Zweier. Dem zärtlichen Abgesang folgt eine orchestrale Pointe und starker Beifall."
Das Orchester 10/2013
Rezension
"Wenn das, was du zu sagen hast, nicht schöner ist als die Stille, dann schweig." Dieses Gebot des kürzlich in
biblischem Alter verstorbenen Henri Dutilleux könnte auch eine Maxime des Komponisten, Dirigenten und
Liedbegleiters Mathias Husmann sein. Den Leiden der Welt, den Wunden, die Menschen einander unaufhörlich
schlagen, eine "stachlige" Musik entgegenzusetzen (wie Adorno es forderte), kommt für ihn nicht in Betracht.
Als Sohn einer Klavierprofessorin und eines Bildkünstlers in Hamburg aufgewachsen, lernte der vielseitige
Musiker hier sein solides Handwerk. Sein Kompositionslehrer war Ernst Gernot Klussmann, der den Ruf genoss,
Richard Strauss habe ihm die Ausarbeitung der Klavierauszüge seiner späten Opern anvertraut.
In seinen Sinfonien, Konzerten, Kammermusiken und Vokalwerken erstrebte er eine "bis zum Äußersten
differenzierte Klanglichkeit und absolute Polyphonie", wobei er am klassischen Ideal melodischer Stimmführung
festhielt. Tugenden, die bei seinem späten Schüler auf fruchtbaren Boden fielen. Wie dessen im März 2009
in Stralsund uraufgeführte Sibelius-Oper Zugvögel, die eine Wiederaufführung verdiente,
eindrucksvoll bezeugte (vgl. das Orchester 5/09, S. 60), birgt die Musikgeschichte inspirative
Kraftquellen, die längst noch nicht ausgeglüht sind. Sofern Traditionsbindung - nach Mahlers trefflichem
Aperçu - nicht Anbetung der Asche ist, sondern Weitergabe des Feuers.
Solch inneres Brennen ist dem Trio für Violine, Violoncello und Klavier anzumerken, das Husmann seiner
Mutter Adelheid Zur 1982 zum 70. Wiegenfest widmete. Das 2009 überarbeitete, fast halbstündige, klangüppige Opus
entfaltet einen (in eigener Weise) tonalen Kosmos, der Zeitnähe mit ästhetischer Bodenhaftung verbindet -
wahlverwandt mit Maurice Ravel, Paul Hindemith oder auch Jean Sibelius. Die Titel der vier Sätze, die eine
musikalische Substanzgemeinschaft eint, sprechen für sich selbst. Die einleitende Fantasie gibt sich mal
locker rezitierend, mal liedhaft, auch wohl wie ein Kondukt. Es folgen ein partikelstöberndes Scherzo, eine
getragene Elegie und eine rumpelstilzchenartige Burleske. Formal ähnelt das Ganze einer Suite: die Fantasie
als Präludium, die drei Charakterstücke als Tanzsätze mit da capo. Für das Berlin Trio eine Wonne.
Die Fünf Humoresken für Violine und Violoncello, 2008/09 den Solisten des Schleswig-Holsteinischen
Sinfonieorchesters Flensburg zugedacht, führen in eine strengere Stilwelt: geistreiche Miniaturen,
die der flotten Gangart des Allegros unterschiedliche Charaktere abgewinnen: giusto, giocoso, severo,
leggiero und furioso. In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister!
Die hohe Kunst des ableitenden und abwandelnden Motivspiels in realer Zwei- oder gar Dreistimmigkeit triumphiert
in dem Diptychon Fantasie und Capriccio concertant für Violine solo (1998) - ein Epitaph für den jüdischen
Geiger Max Kayser, das Christiane Edinger in all seiner kontrapunktischen und rhythmischen Kombinatorik
randscharf ausstanzt und erhellt. Dem Prinzip des "alles aus einem" huldigt auch die Fantasie für Violincello
solo (2007): ein "Bäumchen wechsle dich" cellistischer Spielund Ausdrucksarten, die Lluís Claret mit Hautgout
auf den Punkt bringt.
Lutz Lesle
Das Orchester 6/2012
Erforschen nächtlicher Geheimnisse
(…) Zusammengestellt und dirigiert hat sie Mathias Husmann, in Prenzlau seit langem kein Unbekannter
mehr: Hier hob er einige seiner originellen Werke wie die Hommage an Johann Sebastian Bach
(Kantate "Die erzwungene Dimission" ), Mozart ("Kegel statt Trio") oder Vivaldi
(Violinkonzert "Il prete rosso") aus der Taufe.
(…) Diesen ergreifenden Fragen, jedoch nicht tränenfließenden Klagen in der Nacht folgte die Novität
"Elegie mit dir" für Sopran und Streicher aus der Komponier- und Textfeder von Mathias Husmann.
Zunächst als wortlose Studie zu seiner Sinfonie "Magdeburger Elegie" entstanden,
erhielt sie später eigenständiges Profil. Düstere, stockende Akkorde eröffnen sie. Was aus dem
Klangnichts kommt ("Morgenton aus dunklem Leid herauf/Lebensklang aus heller Lust herab"),
das endet auch wieder dort. Vergangenheit und Zukunft. Dazwischen schiebt sich die Gegenwart mit Beschreibung
von partnerschaftlichem Glück ("singender Frühling im Wald/Herbstmelodien am Meer/Sommerdrang – winterbang")
und persönlichem Stress. (…) Der Form nach ist die Elegie eine fünfteilige Fantasie mit viel Seufzermelodik.
Wenn ihr die Worte fehlen (sie wurden übrigens erst nach der Komposition gefunden),
werden Vokalisen gesungen, zumeist auf "a". Pizzicati von Kontrabass und Celli assoziieren
Herzklopfen, unterstützt von unruhigen Streichern. Die israelische Sopranistin Miriam Sharoni stürzte
sich mit großem stimmlichem Einsatz in den anspruchsvollen Gesangspart, der neben ausladendem Gefühl
auch nach Staccatodeklamation verlangt. (…)
Peter Buske
Das Orchester, 5/09
Die Achte als Albtraum
Mathias Husmann dirigiert seine Oper „Zugvögel“ über Jean
Sibelius in Stralsund und Greifswald
(…) Seit 1995, als er die Strindberg-Oper "Ett Drömspel"
von Ingvar Lidholm nach Magdeburg holte, ist Husmann die nordische
Geisteswelt vertraut. Sein Operntitel "Zugvögel"
verweist auf das Zeichenhafte des Vogelzugs. Wenn die Kriegstoten
Sibelius im letzten Bild des "sinfonischen Dramas" als
Lemuren im Traum erscheinen und ihm ein Noten-Inferno in die Feder
aufzwingen, verwandeln sie sich in Feuervögel von Dresden,
Hiroshima und Nagasaki. Als GMD der Philharmonie und des Theaters
Vorpommern dirigierte Husmann seine "Zugvögel" nun
zum Premierenort Stralsund. Am 21. März ziehen sie weiter nach
Greifswald. (…)
Als Text- und Motivquellen für sein Libretto nutzte Husmann
außer Briefen und Biografien den Bildungsroman "Die sieben
Brüder" von Alexis Kivi, dem Einojuhani Rautavaara 1997
eine tragische Oper widmete, und das Nationalepos "Kalevala".
Die vier Bilder samt (entbehrlichem) Orchesterzwischenspiel 1939-1945
wirken wie Schattenwürfe der viersätzig geplanten Achten.
Wiewohl Sibelius, bühnenbildnerisch (Dirk Hofacker) in die
Metapher des gestürzten Ikarus gefasst, weniger weitschweifig
und eklektisch komponierte. Darum - und aus Gnade für seinen
stundenlang monologisierenden, bass-schweren Darsteller Benno Remling
- sollte Husmann seinen Zugvögeln die Flügel stutzen,
bevor er sie nach Finnland entsendet. Was dem Philharmonischen Orchester
Vorpommern eine willkommene Gelegenheit böte, die Früchte
seines Fleißes nicht nur in den fernen Osten zu exportieren
(zuletzt 2006 und 2008 unter Mathias Husmann in Japan), sondern
auch in den nahen Norden. (…)
Lutz Lesle
11:36 07.04.201311:36 07.04.2013
Helsingin Sanomat (Finnland), 9.3.2009
Deutsches Kriegstrauma in
der Gestalt von Sibelius
In der Oper von M. Husmann werden die Schrecken des Zweiten Weltkrieges
mit den schöpferischen Qualen verbunden
..."Die Sibelius-Oper von Mathias Husmann wurde überraschend
enthusiastisch vom Publikum empfangen. Lautstarke Bravo-Rufe waren
zu hören, der Komponist, die Sänger, der Regisseur und
Bühnenbildner traten mehrmals vor das applaudierende Publikum.
Die Oper Zugvögel erschließt sich trotz all ihrer Düsterheit
leicht und ist eine traditionelle Erzähloper. Auch die tonale
Melodiensprache verursacht kein Kopfzerbrechen.(...)
Hervorzuheben ist, dass Husmann ausdrucksvolle und für die
Sänger dankbare, fließende Melodiestränge schreiben
kann. Die unterhaltenden Elemente bringen lustige Abwechslung in
die deutsch-finnische Beklommenheit. (...) Bei der Premiere war
der frühere Direktor der finnischen Nationaloper, Erkki Korhonen,
dabei, der Husmanns Oper in der finnischen Nationaloper aufführen
wollte. Wegen seines Ausscheidens aus dem Amt mussten die Pläne
revidiert werden. Korhonen hält es für sehr bemerkenswert,
dass ein deutscher Künstler sich eines finnischen Themas angenommen
hat. "Husmanns Sibelius-Bild ist sehr deutsch und es ist auch
sehr deutsch, das Verbrennen der 8. Sinfonie mit dem Holocaust des
Zweiten Weltkrieges zu verknüpfen." (...)
Hannu-Ilari Lampila
DER NEUE MERKER, Wien, Ausgabe 4/09:
GREIFSWALD/ STRALSUND: „ZUGVÖGEL“ - EIN MEISTERWERK!
Der Komponist und Dirigent Mathias Husmann
Mit seiner im Jahre 2000 beendeten Oper „Zugvögel“ ist es
GMD Prof. Mathias Husmann auf emotional berührende Weise gelungen,
das innere Drama von Jean Sibelius (eigentl. Jehan Sibbe, in seiner
Familie Janne gerufen) mit dem äußeren Drama von heraufziehendem
Faschismus, Judenverfolgung und Zweitem Weltkrieg zu verbinden.
(...) Mathias Husmann, aus dessen Feder auch das eindrücklich
und dramaturgisch hervorragend konzipierte Libretto stammt, skizziert
diese 8. Sinfonie gleichsam durch die 4 Bilder der Oper und den
Epilog, die biographische Abschnitte aus den Jahren 1927, 1933,
1939, 1945 und 1951-1957 umfassen und durch Orchesterzwischenspiele
verbunden sind. (...)
Mathias Husmann ist ein Komponist, der zugleich ein starker Dramaturg
ist. Es gelingt ihm, die Entwicklungen in der Persönlichkeit
des Jean Sibelius und seine inneren wie äußeren Auseinandersetzungen
literarisch, szenisch und musikalisch voller Plastizität zu
schildern. Die psychischen Abgründe der Person und die Abgründe
der Zeit sind ebenso eindringlich komponiert wie die innigen Szenen
zwischen Jean, Aino und ihren Töchtern. Dabei hat er sowohl
die Sensibilität als auch die künstlerische Kraft, die
Vorgänge in Sibelius nachvollziehbar zu machen ohne sie zu
bewerten. Intensive historische und biographische Recherchen, unterstützt
durch Markku Hartikainen, Mitarbeiter der Sibelius-Gesellschaft,
sind dem vorausgegangen. (...)
Text uns Musik fesseln von Anfang an. Die Inszenierung ist nah an
beidem. (...)
Husmann versteht Komponieren als „Zusammensetzen“ (Strawinsky) und
komponiert auf seine Weise tonal. Anklänge an Musikstile der
20er und 30er Jahre entdeckt man ebenso wie finnische Folklore;
sinfonische Teile – sowohl voller Dramatik als auch skizzenhaft-zart
wie als der Ferne kommende Klangteppiche, die gesprochene Dialoge
nur untermalen; harmonische Duette und Themen, die sich leicht wieder
erkennen lassen. Gehört habe ich dies als vielfarbiges und
doch homogenes Ganzes. Besonders interessant ist, dass Husmann Sibelius
nicht zitiert, nur einmal eine harmonisch ähnliche Wendung
aus der 5. Sinfonie verwendet. Aber er orientiert sich an Sibelius’
Kompositionsstil. Die Tonart C-Dur, von Husmann als ruhender Klang
beschrieben, spielt eine wichtige Rolle. C wird nach h und nach
cis (Sibeliusklang!) verwandelt und am Ende der Oper, wenn Sibelius
‚seinen’ Frieden findet, gibt der Komponist, wie er selbst in einem
Interview sagt, „der Musik ihr C-Dur zurück, rein und unverbraucht
wie am ersten Tag“. (...)
Wie ausdrucksstark Husmanns Kompositionsstil ist, zeigen auch die
Orchesterzwischenspiele. Sie sind so plastisch, dass man auch ohne
gelegentliche Unterstützung durch Überblendprojektionen
Bilder sieht, Stimmungen spürt, Emotionen mitgeteilt bekommt.
Im Zwischenspiel vor dem 3. Bild (Zeitraum 1933-39) habe ich den
Anflug der Bombeflugzeuge gehört. Im großen Zwischenspiel
vor dem 4. Bild (Zeitraum 1939 -1945) einen tonalen (Feuer-)Sturm:
das Auf- und Abschwellen der Sirenen, die Kriegsmaschinerie, Menschen
schleppen sich in langen Trecks übers Land.
Husmanns Oper muss nicht erklärt werden, sie ist auf überraschend
einfache Weise klar und transparent: strukturell, szenisch, inhaltlich
und daher überzeugend. Ebenso klar dirigiert Husmann sie. Hier
wird seine reiche Erfahrung als Operndirigent spürbar. In bester
Kapellmeisterart dirigiert er mit sparsamer und eindeutiger Zeichengebung,
absolut verlässlicher Partner für die Sänger und
das Orchester.
Die Rollen sind mit vorzüglichen Sängerdarstellern besetzt.
Mit dem Bassbariton Benno Remling wurde für die Rolle des Sibelius
ein Sänger gewonnen, der der umfangreichsten Rolle dieser Oper
überzeugend gerecht wird und die riesige Partie ohne stimmliche
Ermüdungserscheinungen singt. Remling ist in jeder Sekunde
dieser mit sich kämpfende alte Mann (Maske hervorragend!),
anfangs aggressiv, auch starr, später immer häufiger lyrisch
versponnen und wie abwesend wirkend. Wie er den immer stärker
spürbaren Alterungsprozess auch physisch darstellt ohne ihn
je zu karikieren zeugt von hohem Einfühlungsvermögen.
(...) Opern-Uraufführungen sind heutzutage eine Seltenheit.
Erst recht ist selten, dass eine neue Oper so vorbehaltlos gefällt.
Der Hauptgrund für ihren Erfolg liegt in der gelungenen Verknüpfung
der Sujets mit ausdrucksstarker Musik. Husmann gelingt die Hommage
auf Jean Sibelius und ein Requiem auf das 20. Jahrhundert. Sowohl
in Stralsund als auch in Greifswald gab es verdienten Jubel für
den Komponisten, Librettisten und Dirigenten, das Ensemble, das
Orchester und die Regie. Diese Oper hat das Zeug zur Repertoiretauglichkeit.
Schon heute darf dem Theater gratuliert werden, dass nach den Häusern
von Stralsund und Greifswald diese Oper auf die Bühne bringt
und damit hoffentlich nicht bis zum 150. Geburtstag von Sibelius
im Jahr 2015 wartet.
Dr. Kerstin Voigt
Opernwelt 6/2009
Leiden, Schaffen Lieben
(…) Wenn Mathias Husmann, der komponierende GMD des
Theaters Vorpommern, Jean Sibelius auf die Opernbühne schickt,
geht es weder schick noch unverfänglich zu. Bescheiden allerdings
auch nicht. Angekündigt ist ein „Symphonisches Drama“ in vier
Bildern: „Zugvögel“. (…) Mit postmoderner Eleganz findet er
zur Operette, sobald Sibelius und seine Frau im Duett singen, dockt
als Scherzo-Arrangeur bei Mahler an, überzuckert das „Rosenthema“
des Adagio a la Puccini und lässt am Ende alles in C-Dur münden.
Natürlich sind auch die Sinfonien des Meisters da, oder besser:
Es geht immer haarscharf an Ihnen vorbei. Auch an „Siegfried“, „Chárdásfürstin“
und „Rosenkavalier“. Nichts wird wirklich zitiert, aber alles schimmert
durch. Die Leichtigkeit, mit der Schrecken und Slapstik gleichermaßen
bedient werden, kollidiert empfindlich (und ohne ästhetischen
Mehrwert) mit dem Titanenportrait, das Sibelius irgendwo zwischen
Faust, Hiob und Alkoholismus verortet. (…)
Stephan Mösch
DAS OPERNGLAS, Ausgabe 4/09:
Stralsund
Zugvögel
Es war wie ein großes Familienfest. Nicht nur Jaakko Ilves,
Urenkel des berühmten finnischen Komponisten Jean Sibelius
und Enkel von dessen Tochter Katharina, sondern auch Urenkel Pertti
Virkkunen,Enkel der Tochter Eva, saßen im Publikum des Theaters
Vorpommern in Stralsund, auch die Familie des Komponisten und Generalmusikdirektors
sowie Freunde und Gäste aus Finnland. Sogar Erkki Korhonen,
der das Stück vor fünf Jahren in Helsinki an der finnischen
Nationaloper aus der Taufe heben sollte, war aus der finnischen
Hauptstadt angereist.
Ein Familienfest leitet auch diese Oper von Mathias Husmann, Noch-GMD
des Theaters ein: Aino, Ehefrau von Sibelius, feiert Namenstag.
Ein Fotograf postiert auf einer Hälfte der Drehbühne Kinder,
Enkel, Schwager im Wohnzimmer, um das Erinnerungsbild zu machen.
Sibelius – 62 Jahre alt – bewegt sich wie ein Fremdkörper in
der munteren Schar, ist abwesend. Er beobachtet die Ankunft der
Schwäne. Sie inspirieren ihn, die Arbeit an seiner 8. Sinfonie
zu beginnen. Die Musikwelt wartete 30 Jahre auf das Werk - vergebens.
Die Zugvögel, Symbol für Inspiration, kehrten nie zu ihm
zurück. (...)
Husmann, hier Komponist, Librettist und Dirigent in Personalunion,
hat dieses Leben skizziert, sein Musiktheaterstück absichtlich
„sinfonisches Drama in vier Bildern und einem Epilog“ genannt, denn
für hochdramatischen Opernstoff fehlt der Zündstoff. Vielleicht
hätte das Werk theatralisch noch besser funktioniert, wenn
sich Husmann etwas kürzer gefasst hätte. Allerdings konnte
er so die ganze Bandbreite seines musikalischen Könnens zeigen,
Instrumentationsraffinement, guter Umgang mit der Sängerstimme,
hier zuzüglich Sprechgesang, kompetente Beherrschung des vorzüglich
mitgehenden Orchesters und der glänzend einstudierten Chöre.
Husmanns Tonsprache kann getrost zeitgenössische Klassik genannt
werden, ist überwiegend melodiös, liebt unüberhörbar
den Dreivierteltakt, kennt Kurt Weill, bleibt durchweg vielfältig
und spielt mit der Grenze zum Kitsch und erscheint doch seriös,
stets voll Atmosphäre und Dichte.
Das Publikum dankte dieser „Hommage an Jean Sibelius“, einem Requiem
auf das 20. Jahrhundert, mit lang anhaltendem Applaus und Standing
Ovations! (Auszug aus der Kritik) G. Helbig
DIE WELT vom 12.03.2009
Die
Feuervögel von Dresden und Hiroshima erreichen Finnland
Mathias Husmanns Sibelius-Oper in Stralsund
Von Lutz Lesle
Die böse Sieben wurde in Finnland
zur bösen Achten. "An ihr scheitert man", lautet
das geflügelte Wort in Anspielung auf Jean Sibelius. Die anhaltende
Schaffenslähmung, die den als Volkshelden gefeierten Komponisten
nach Vollendung seiner siebten Symphonie und der mythischen Tondichtung
"Tapiola" befiel, wurde zum nationalen Trauma. Um sich
unter Druck zu setzen, hatte er Sergej Kussewitzky, dem Chef des
Boston Symphony Orchestra, das angefangene Werk zur Uraufführung
angeboten. Plakate wurden gedruckt, in Järvenpää
lief der Telefondraht heiß, die Presse mokierte sich. Doch
die Welt bekam die Achte nie zu hören. 1945, im Jahr seines
80. Geburtstags, vernichtete der alkoholsüchtige und parkinsonkranke
Komponist alle Schriftspuren.
Stoff für eine tragische Oper, sollte man meinen. Dass finnische
Komponisten bisher die Finger davon ließen, hat sicherlich
damit zu tun, dass ihnen das Thema zu nahe geht. Mit dem nötigen
Abstand, den Ostsee, Bodden und Sunde bieten, wagte sich der komponierende
Kapellmeister Mathias Husmann daran, Figur, Psyche, Schicksal und
Aura des unglückseligen Meisters musiktheatralisch auszuforschen.
Seit 1995, als er die Strindberg-Oper "Ett Drömspel"
von Ingvar Lidholm nach Magdeburg holte, ist Husmann die nordische
Geisteswelt vertraut. Sein Operntitel "Zugvögel"
verweist auf das Zeichenhafte des Vogelzugs. Wenn die Kriegstoten
Sibelius im letzten Bild des "sinfonischen Dramas" als
Lemuren im Traum erscheinen und ihm ein Noten-Inferno in die Feder
aufzwingen, verwandeln sie sich in Feuervögel von Dresden,
Hiroshima und Nagasaki. Als GMD der Philharmonie und des Theaters
Vorpommern dirigierte Husmann seine "Zugvögel" nun
zum Premierenort Stralsund. Am 21. März ziehen sie weiter nach
Greifswald.
Schauplatz des dreißigjährigen Albtraums aus Angst und
Altern vor dem Flammenhintergrund des Zweiten Weltkriegs ist die
ländliche Villa des Komponisten nördlich von Helsinki.
Dort ereignen sich seine vier Lebensmomente zwischen Wirklichkeit
und Traum, datiert auf Mai 1927, Juni 1939, November 1939 und Dezember
1945. Der Epilog rafft die "Endzeit" bis zum Tod des fast
92-Jährigen am 20. September 1957. Außer Jean und seiner
geduldig liebenden Gattin Aino figurieren in Nebenrollen ihre fünf
Töchter, Ainos bramarbasierende Künstler-Brüder sowie
der ehrerbietige Sekretär des Komponisten - einzige "Handhabe"
für Regisseur Klaus Rak, der zunehmenden Altersstarre in Ainola
für Augenblicke entgegenzuwirken.
Als Text- und Motivquellen für sein Libretto nutzte Husmann
außer Briefen und Biografien den Bildungsroman "Die sieben
Brüder" von Alexis Kivi, dem Einojuhani Rautavaara 1997
eine tragische Oper widmete, und das Nationalepos "Kalevala".
Die vier Bilder samt (entbehrlichem) Orchesterzwischenspiel 1939-1945
wirken wie Schattenwürfe der viersätzig geplanten Achten.
Wiewohl Sibelius, bühnenbildnerisch (Dirk Hofacker) in die
Metapher des gestürzten Ikarus gefasst, weniger weitschweifig
und eklektisch komponierte. Darum - und aus Gnade für seinen
stundenlang monologisierenden, bass-schweren Darsteller Benno Remling
- sollte Husmann seinen Zugvögeln die Flügel stutzen.
FAZ vom 11.03.2009
Am
Ende kommen die Kraniche
Wenn Sibelius seine Achte Symphonie nicht verbrannt hätte:
Die Oper "Zugvögel" kreist um die letzten Lebensjahre
des finnischen Nationalkomponisten.
(…) Husmanns Libretto, unbefangen gereimt, enthält manch kluge
Widerborstigkeit. Da lässt er etwa den Schriftsteller Arvid
Järnefelt, Sibelius' Schwager, über die moderne Kunst
sagen, dass deren falsch verstandene Freiheit kommenden Diktaturen
den Weg bereite: "Wer heute laut die Freiheit fordert, baut
morgen heimlich Gefängnisse." (…) Aus dem Gesangsensemble
ragt Anette Gerhardt als Aino hervor, die das Lyrische der Entsagung
mit stets neu aufflammendem Ehrgeiz zu verbinden weiß und
damit stimmlich das komplexe Porträt einer Frau zeichnet, die
ihre eigene literarische Begabung aufgab, um ihrem Mann das Leben
leichtzumachen. Benno Remling als Sibelius meistert die anstrengende
Baritonpartie leicht (…). Das Orchester des Theaters Vorpommern
hielt unter Husmanns Leitung die Spannung über drei Stunden
hinweg vor allem durch die farblich reiche, stets diskrete, aber
deutliche Zeichnung aller Linien. (…) Der stille C-Dur-Schluss der
Oper wirkt als Ausstieg aus der Geschichte: hinein in ein verheißungsvolles
Reich, das als Natur empfunden wird.
JAN BRACHMANN
RBB-Inforadio 9.3.2008
Kurzkritik: Uraufführung
der Oper Zugvögel
30 Jahre lang war die Achte Sinfonie von Jean Sibelius
ein Gerücht. Was war der Grund für das Verstummen eines
gefeierten Komponisten ab Mitte der 1920er Jahre? Mathias Husmann
hat ein ebenso kluges wie eindrucksvolles, gleichwohl völlig
unzeitgemäßes Werk geschrieben, das sich in die Reihe
der Künstleropern einordnet, ohne den Untiefen vordergründiger
Biographistik zu verfallen. Denn ebenso wie sich die Bühne
bei der Uraufführung in Stralsund dreht und mal das Wohnambiente
und mal die Studierstube zeigt, so wechseln in "Zugvögel"
Alltagsszenen mit einem imaginierten Kompositionsprozess. Die vier
Bilder beginnen mit einer historischen Verortung durch verschiedene
Stile: da ist es das neusachliche heitere Idiom der 20er, dann Kurt-Weil-lmäßig
eingedunkelte Wendungen, später amerikanisches Musical. Und
dem gegenüber steht die Darstellung eines möglichen Kompositionsprozesses
einer neuen Sinfonie. Wie ein Rhythmus, dann ein Motiv sich bilden,
wie daraus ein groß angelegter Bogen wird - Husmann spekuliert:
genau dahin ging vielleicht jene viersätzige Achte, die Sibelius
verbrannt hat. Denn die Musiksprache von Jean Sibelius scheint nicht
auszureichen, das Grauen eines Jahrhunderts in Töne zu bringen,
die Nachrichten aus Deutschland, die Bombardierung Helsinkis, auch
das Abwenden des musikalischen Zeitgeistes vom 1866 geborenen. Der
Alkoholismus des Komponisten bleibt demgegenüber eine nachrangige
Erklärung.
Husmanns Oper, zu der er selbst das Libretto schrieb und bei der
man denkt, er habe keine einzige eigene Note hinzugefügt, ist
mit dreieinhalb Stunden recht lang geworden. Insbesondere das Verstummen
und Auspendeln eines Lebens hätte weniger bedurft. Als Musik
über Musik ist es ein Beweis der vielfältigen Möglichkeiten
des Generalmusikdirektors, der in diesem Sommer im Dissens das Theater
Vorpommern vorzeitig verlässt.
Harald Asel
Nordkurier, 9. März 2009
Das
unfassbare Böse
Ein besonderer Abend war der Sonnabend
für das Theater Vorpommern in Stralsund. Dass eine neue Oper
ihre Uraufführung erlebt, ist schon nicht alltäglich.
Dass sie aber nach dreieinhalb Stunden vom Publikum mit stehenden
Ovationen aufgenommen wird, ist heute schon eine Sensation. (…)
Insgesamt aber geht von dem Werk, neben der musicalartigen Heiterkeit
der Gesellschaftsszenen und der süßlichen Rosenmusik,
eine große Ernsthaftigkeit aus, die noch lange zur Nachdenklichkeit
anhält. (…)
OSTSEE-ZEITUNG,
9. März 2009
Requiem
auf das 20. Jahrhundert
(…) Vorgestern war die in Stralsund mit zehnminütigem Beifall
gefeierte Premiere. Im Mittelpunkt steht der finnische Komponist
Jean (Janne) Sibelius, das Phänomen seines 30 Jahre währenden
kompositorischen Schweigens (1927 bis zum Tod 1957) und die Vernichtung
der in diesem Zeitraum skizzierten 8. Sinfonie. Soweit die Realität.
Der entscheidende „Rest“ ist Husmann: die Suche nach Gründen
für das Schweigen, das Beschreiben einer existentiellen künstlerischen
Krise, das Angebot einer Lösung. Es ist das Psychodrama eines
am heillosen Weltgeschehen Leidenden, letztlich aber individuell
Versagenden. In einem Traum und unter dem Druck der Geschichte schreibt
Sibelius dieses Werk – und verbrennt es. Für seinen lesenswerten
Text fand Husmann eine Musik, die er absichtsvoll als „sinfonisches
Drama“ gestaltete. Nur so konnte er die nötige, den weitgehend
inneren Vorgängen adäquate strukturelle und emotionale
Dichte schaffen. Das macht er auf (un)konventionelle Weise zwischen
klassischem Dur, freier Tonalität und flächigem Geräuschkomplex,
zwischen irritierender Direktheit trivialer Stilelemente und wirkungsvoll
instrumentierter sinfonischer Gestik. Eine „bildhafte“, stilistisch
bunte, dramaturgisch punktgenau komponierte Musik von atmosphärischer
Genauigkeit und künstlerischer Eigenständigkeit. (…)
Sie ist zudem Triumph des lyrisch wie expressiv parlierenden, oft
äußerst melodiösen Gesangs – und des großen
Gefühls. Die Machart muss nicht jedem gefallen, aber sie wirkt
echt, ist bewusst so gestaltet und, stückbezogen, stimmig.
Zumindest vermag es Husmann, den Hörer über knappe drei
Stunden intensiv anzusprechen, auch zu fesseln. (…)
OPERNGLAS 3/2009
IM GESPRÄCH
MATHIAS HUSMANN
Die Schaffenskrise von Jean Sibelius
hat Mathias Husmann zu seinem Werk für das Musiktheater inspiriert;
im März steht die Uraufführung in Stralsund an. Ralf Tiedemann
traf den Komponisten in seiner Heimatstadt Hamburg. Ausschnitte
aus dem Gespräch:
Die Sibelius-Oper »Zugvögel«
ist nach »Vivaldi« Ihr zweites Werk für Musiktheater,
beide sind sie Komponisten gewidmet. Reizte Sie konkret die musiktheatralische
Auseinandersetzung mit großen Komponistenkollegen, die ja
vielleicht auch Vorbilder sind – oder war die Sujetwahl doch eher
zufällig?
Ich habe im Laufe meines Dirigentenlebens über 120 Opern dirigiert
und immer den Wunsch gehabt, selbst welche zu schreiben und dabei
vielleicht auch ein paar Erfahrungen einzubringen dahingehend, was
man anders machen könnte. Mein Thema habe ich ganz in der Nähe
gefunden: der Komponist in der Krise. Das war Vivaldi als Aussteiger,
der mit 60 Jahren aus Venedig – und damit auch gleich aus der Musikgeschichte
– verschwand, jetzt ist es der große nordische Komponist Jean
Sibelius, der die letzten 30 Jahre seines langen Lebens, also ungefähr
vom 60. bis etwa 90. Lebensjahr, nicht mehr schreiben konnte und
die ganze Welt glauben machte, er schriebe an seiner 8. Sinfonie.
Das war ein Albtraum für ihn und er hat darunter gelitten.
1945 hat er in einem emotionalen Akt alle vorhandenen Skizzen restlos
verbrannt – so hat es seine Frau berichtet. Das hat mich auf die
Idee gebracht, sein inneres Drama mit dem Drama des Weltgeschehens
in Verbindung zu bringen.
Eigentlich hatte ich so etwas wie ein »Requiem« schreiben
wollen, doch bin ich der Ansicht, einem 1948 Geborenen wie mir würde
man nicht abnehmen, wenn er versuchte, ein Stück über
den Holocaust oder eine Thematik aus der Mitte des Krieges zu schreiben.
Aber aus dem Blickwinkel eines alternden Komponisten, der nachts
von seinem kleinen Holzhaus aus seine Vaterstadt brennen sieht –
Helsinki war am 30. November 1939 als erste europäische Stadt
von den Russen bombardiert worden – und den Krieg wahrnimmt aus
Nachrichten, aus den Tränen seiner ältesten Tochter, die
den Mann im Krieg verlor: Das habe ich mir zugetraut.
Im 4. Bild gibt es bei mir eine Szene, wo Sibelius an dessen 80.
Geburtstag alles einholt. Während er im Halbschlaf liegt, erscheinen
ihm die Toten des 2. Weltkrieges; sie zwingen ihn, seine Skizzen
auszuarbeiten, ob er will oder nicht. Am Ende ist die Sinfonie in
seinem Traum für einen Moment lang fertig. Er widmet sie den
Toten und lässt sie den Weg gehen, den die Toten gehen mussten:
Er verbrennt sie. Das ist der Höhepunkt und Schluss einer Handlung,
die von biografischen wie historischen Dingen ausgeht, die ich mit
einem genialen Mitarbeiter – Markku Hartikainen, das lebende Gedächtnis
von Sibelius in Finnland – kompiliert habe, dann aber eine sehr
freie Wendung nimmt als ein Requiem zum 20. Jahrhundert.
Hat Sie speziell der Mythos um
die Achte fasziniert, bzw. die Tragik, dass da ein großer
Komponist 30 Jahre lang eine Schaffenskrise durchleidet? Oder fühlen
Sie auch eine emotionale Verbundenheit zur Musik von Sibelius?
Beides. Jean Sibelius war und ist in Finnland ein Mythos. Und er
wurde davon erdrückt. Sie werden das in unserer Inszenierung,
die dieses lebende Denkmal sehr eindrucksvoll darstellt, auch sehen.
Ich denke, dass das Jahrhundert in Sibelius’ Sinfonien schon ab
der dritten zuschlägt, dass er noch Sinfonien schreibt in eine
Zeit hinein, in der der Idealismus, der diese Form trägt, eigentlich
nicht mehr da ist. Seine Sinfonien werden immer kürzer, lakonischer,
die Siebte ist nur noch komprimiert in einem Satz. Die Achte dagegen
sollte ganz groß angelegt sein und war mit einem Chorfinale
geplant – das kann man in Briefen nachlesen. Sibelius ist eine Randerscheinung,
nicht nur geografisch. In seiner Musik gibt es immer wieder faszinierende
Momente, die man nicht vergisst.
Gab es einen konkreten Anlass,
mit der Komposition zu beginnen?
Ja. Die Kammeroper »Vivaldi« war noch, wenn Sie so wollen,
ein halbes Jahr zu früh auf mich hereingebrochen. Ich schrieb
sie, während wir in Magdeburg »Meistersinger« probierten
für die Eröffnung des neuen Hauses, das noch gar nicht
fertig war. Es ging drunter und drüber, gereizte Stimmung,
dazu dieses schwere Stück - und ich schrieb auf dem Weg dahin
und nachts an der Kammeroper… Ich wäre beinahe überfahren
worden in meiner Geistesabwesenheit! Die eigentliche Ausarbeitung
folgte dann 1998, denn da war ich plötzlich frei in Magdeburg
nach dem Eklat um die 9. Sinfonie von Beethoven, deren Missbrauch
zum Gedenktag der Bombardierung Magdeburgs ich nicht mitmachen wollte.
Konkreter Auslöser war dann ein wissenschaftlicher Artikel
in einer englischsprachigen Musikzeitschrift über Sibelius‘
8. Sinfonie, in dem alles zusammengetragen war, was man historisch
weiß. Als ich den gelesen hatte, sagte ich zu meiner Frau:
„Da steckt ein Drama drin!“ Ich hatte bis dahin gar nicht gewusst,
dass in Finnland die „Achte Sinfonie“ ein geflügeltes Wort
ist für all das, was man nicht bewältigt.
Sie haben „Ihrem“ Sibelius die
Worte in den Mund gelegt: „Ich suche meine Sprache. Ich muss sie
jedes Mal neu finden.“ Sie selbst wählten vorhin eine ganz
ähnliche Formulierung. Wie ist das bei Ihnen?
Das hat Sibelius tatsächlich gesagt, und es macht einen sehr
betroffen. Er war 60 Jahre alt; ein Alter, in dem sich eine Kluft
zu entwickeln beginnt zwischen den Wünschen und der Konstitution.
Man kann das bei anderen Komponisten, die die Phase der Alterswerke
überhaupt erreicht haben, auch beobachten. Er suchte ganz ohne
Frage für jede seiner Sinfonien, sagen wir mal ab der Dritten,
eine eigene Sprache. Aber wo will man Neuland betreten? Wo will
man, um Neuland betreten zu können, Vertrautes als Anfangsgrund
setzen? Das muss bei jeder Komposition größerer Art definiert
werden. Bevor Sie diesen ersten Punkt fixieren, gehen Sie ziemlich
lange mit der Sache schwanger. Wenn Sie einen Punkt haben, setzen
Sie einen zweiten – und so können Sie schon eine Parallele
ziehen, wenn ich das einmal mathematisch ausdrücken darf. Wenn
Sie dann einen dritten Punkt haben, entsteht ein Raum – und die
Komposition fängt an. Nun haben Sie sich festgelegt, in welchen
Koordinaten Konsonanzen und Dissonanzen gelten, welche Räume
entstehen, welche Sprache gesprochen wird. Bevor Sie das tun, durchschreiten
Sie Räume des Chaos und voller Fragezeichen.
Sie sind ein Mensch, der genau
reflektiert, was er tut und sich gegebenenfalls auch mal mit seinem
Widerspruch in die Nesseln setzt. Das Stichwort Magdeburg ist bereits
gefallen. Sehen Sie sich als Künstler in der Pflicht, Grenzen
aufzuzeigen, wenn Sie etwas für inhaltlich oder politisch nicht
verantwortbar halten?
Wenn ich etwas als falsch erkannt zu haben glaube, dann sage ich
das auch. Die Auseinandersetzung damals in Magdeburg, ob die 9.
Sinfonie von Beethoven geeignet sei für eine Gedenkfeier zur
Bombardierung der Stadt, in der 20.000 Menschen ihr Leben verloren,
ging ja nicht darum, dass ich diese Aufführung verhindern wollte.
Ich wollte sie nur nicht selbst dirigieren. Die Verantwortung, sie
angesetzt zu haben, lag beim Intendanten. Es gab nur einen internen
Streit darüber, ob er es mir vertragsrechtlich hätte anordnen
dürfen. Aber weil letztendlich ich als GMD über die Konzerte
die Hoheit hatte, hat er später auch den Prozess verloren.
Der Fall um die Neunte war eine sehr heikle Sache, denn es ging
auch um die Wiedereinführung einer Tradition, die seit 1961
– einst von der SED angeordnet – bestanden hatte, zwischenzeitlich
aber von mir durch Aufführungen der »Missa solemnis«
unterbrochen worden war. Es wurde letztlich ein Rechtsvorgang daraus
gemacht, in dem es eigentlich nur darum ging, einen unbequemen „Wessi“
loszuwerden.
Die Unduldsamkeit in meinem Charakter hat weniger damit zu tun,
dass ich politisch rechthaberisch sein möchte – dazu kann ich
politisch viel zu wenig die Dinge beurteilen – als dass ich es schwer
aushalte, auf Dauer mit Leuten zusammenzuarbeiten, die nicht auf
den Platz, den sie innehaben, gehören. Da habe ich eine gewisse
charakterliche Unduldsamkeit, die meine Biografie auch geprägt
hat.
OSTSEE-ZEITUNG (Rostock) vom 6.9.2008:
Dirigent Husmann als Komponist
Stralsund (OZ) - Mathias Husmann, Generalmusikdirektor des Theaters
Vorpommern, feierte im Juni seinen 60. Geburtstag. Aus diesem
Anlass
wurde und wird in diesen Tagen in mehreren Porträtkonzerten
der Komponist Husmann vorgestellt – vorgestern in Stralsund, gestern
in Hamburg und morgen in Greifswald. Damit steht ein Arbeitsfeld
des auch als Klavierbegleiter tätigen Dirigenten im Fokus,
das mit Sinfonik, Oper, szenischer Kantate, Lied und vielfältigen
Kammermusikbesetzungen den Anspruch wichtiger Lebensleistung
erhebt.
Dabei verdeutlichen die in den Porträtkonzerten vorgestellten
Liedzyklen und Kammermusiken sowohl handwerklich beste „alte Schule“
als auch den bewussten Bezug zu Vorbildern wie Bialas, Schönberg,
Hindemith, Ravel oder Sibelius. Dies allerdings lediglich im Sinne
von „Wahlverwandtschaften“ – die individuelle, oft frei tonale
Nutzung
überkommener musiksprachlicher Mittel eingeschlossen.
Dem hinzuzufügen wäre das uneingeschränkte Bekenntnis
zum Gefühlshaften, zur unverstellten Emotion – und das nicht
nur in vokalgebundenen Genres. In Stralsunds Kulturkirche St. Jacobi
kam dies alles mit Liederzyklen nach Paul Celan, Johannes Bobrowski
und Marie Luise Kaschnitz sowie der Fantasia Funebre für Viola
und Klavier, der Klarinettensonate und den Sieben Grotesken für
Violine und Viola exemplarisch zur Geltung. Husmann nutzt auch hier
den traditionellen Formen- und Gestaltungskanon für eigene
Mitteilungen oft sehr persönlicher Art.
Seine Werke kennen das Kalkül ebenso wie scheinbar spontane,
gefühlshafte Ausbrüche voller Ausdruck und Klanggewalt.
Insofern war der Abend für den aufmerksamen Hörer aufschlussreich
und das wirkliche „Porträt“ eines Komponisten, dem der Sprachmittler
Musik im engsten Sinne noch viel bedeutet.
Dass auf dem Weg zum Adressaten nichts verloren ging, dafür
sorgten die ganz vorzüglichen Musikerinnen Bettina Grothkopf
(Sopran), Valentina Cieslar (Viola), Irene Husmann (Violine), Akos
Hoffmann (Klarinette) und der Komponist selbst am Flügel.
OSTSEE-ZEITUNG (Rostock) vom 21.06.2008:
Mathias
Husmann feiert mit Dissonanzen
Der Generalmusikdirektor
des Theaters Vorpommern wird heute 60. Er wird als Komponist geehrt.
Doch 2009 verlässt er das Theater - vorzeitig.
Stralsund (OZ) - "Kennen
Sie Brahms?" Unter diese Frage stellte Professor Mathias Husmann
kürzlich einen Vortrag mit Musik in der Sängerakademie Hamburg.
Demnächst steht der Dirigent, der seit sechs Jahren als Generalmusikdirektor
(GMD) des Theaters Vorpommern erfolgreich wirkt und heute seinen
60. Geburtstag begeht, selbst als Komponist im Mittelpunkt. Wenn
Anfang September in Stralsund, Hamburg und Greifswald junge
Musiker
mit dem Komponisten am Klavier dessen kammermusikalische Werke
aufführen,
könnte mit dem Motto " Kennen Sie Husmann?" nach jenem Mann gefragt
werden, der sich Anfang der Siebzigerjahre als Dirigierstudent
in
Hamburg listenreich eine Kompositionsausbildung bei gleich drei
Lehrern zu verschaffen wusste (bei Christoph Hohlfeld, Ernst Gernot
Klussmann und Hans Poser). Und der seither neben seiner Tätigkeit
als Dirigent und Pianist auch stets komponierte, "in einer eigenen
Weise tonal", wie er selbst sagt.
In besagten Porträtkonzerten
erklingen Stücke für Soloinstrumente und Duos sowie Lieder nach
Gedichten von Paul Celan, Johannes Bobrowski und Marie-Luise
Kaschnitz. Und
im März 2009 kann das Publikum in Stralsund und Greifswald die
Uraufführung
von Husmanns zweiter Oper erleben: "Zugvögel" behandelt jene Zeit
im Leben des finnischen Komponisten Jean Sibelius zwischen dem
60.
und 90. Lebensjahr, in der er nichts schrieb, aber die Welt glauben
machte, er säße an seiner 8. Sinfonie. "Mein Thema ist: Der Komponist
in der Krise", sagt Husmann.
Diesem Thema war schon sein Erstling,
die Kammeroper "Vivaldi", verpflichtet, die 2002 erfolgreich
in Ulm uraufgeführt wurde ("Neunmal ausverkauft", so der Komponist).
Sie behandelt das letzte Lebensjahr 1741 Vivaldis, in dem er
alles
aufgab und als katholischer Priester quasi aus der Musikgeschichte
verschwand. Auch Husmanns nächste Oper soll von Krisen
handeln: von der italienischen Opernsängerin Giuseppina Strepponi,
die ein
äußerst abenteuerliches Leben hatte, bevor sie relativ spät Verdis
zweite Ehefrau wurde.
Die Krise des Künstlers - Mathias Husmann,
seit mittlerweile 20 Jahren Generalmusikdirektor (vor Stralsund
und Greifswald schon in Ulm und Magdeburg), kennt diese Krise aus
eigener täglicher Arbeit. "Ich habe immer versucht, den Wettlauf
zwischen Aufbau und Zusammenbruch nicht zu früh zu verlieren.
Es gab Tage, an denen ich morgens ein Kinderkonzert spielte,
mittags
in einer Schule 'Die Winterreise' begleitete und abends ein Philharmonisches
Konzert dirigierte", sagt der Musiker über seine Zeit als GMD
am Theater Vorpommern.
Das Opernglas 04/08: Perle
an der Ostsee
Das Theater Stralsund erstrahlt im neuen
alten Glanz
Zur
feierlichen
Wiedereröffnung am 29. Februar 2008 fand dann Bundeskanzlerin Angela
Merkel die wichtigsten Worte. Ihr Wunsch: "Hoffentlich heißt es
oft: Vorstellung ausverkauft!" Die Chancen stehen gut, denn das
Theaterpublikum in Vorpommern ist recht zahlreich und wird dem
Haus
treu verbunden sein. Die 452 schmucken Sitzplätze - den Rücken
schonend und mit außergewöhnlicher Beinfreiheit ausgestattet -
dürften bestens
beansprucht werden. Und Auswärtige können nun nicht mehr nur die
sorgsam renovierte Altstadt bestaunen, sondern auch das Theater
lädt jetzt zum Verweilen in der sympathischen Hansestadt ein.
(…)
Für die festliche Wiedereröffnung hatte die Intendanz entschieden,
Beethovens Freiheitsoper "Fidelio" auf die nigelnagelneuen Bretter
zu bringen. (…)
Generalmusikdirektor Mathias Husmann empfing
sofort
freudiger und wohlwollender Auftrittsapplaus, für den sich der
Dirigent stante pede mit einer sehr kraftvollen trotzdem aber
immer wieder
dynamisch fein ausgeloteten Ouvertüre bedankte. Und so sollte es
den Abend über weiter gehen. Das Philharmonische Orchester Vorpommern
bot durchweg eine absolut hochwertige Leistung, die im Laufe
des
Stückes nie abzuschwächen drohte. Eher hatte man den Eindruck,
dass sich der Klangkörper von Nummer zu Nummer stetig beflügeln
würde.
Opernwelt April 2008:
Namenlose Freude
Nach aufwändiger Sanierung
geht im Theater Stralsund wieder der Vorhang hoch. Eröffnet wurde
mit Beethovens "Fidelio"
(…) Da zudem das von GMD Mathias Husmann
sachkundig wie engagiert durch die Partitur geführte Philharmonische
Orchester Vorpommern eine fabelhafte Leistung zeigt, fügt sich
das Ganze zu einem mehr als annehmbaren Theaterabend. So darf
es weiter
gehen am Sund.
OSTSEE-ZEITUNG (Rostock) vom 11.10.2007:
Philharmonie musizierte mit
Blick auf Japan-Reise
Greifswald (OZ) - Ein klassisches Programm
und
mit Superlativen nicht sparende Werbung haben es geschafft: in
Greifswalds Großem Haus gab es vorgestern beim 2. Philharmonischen
Konzert wenig leere Stühle und wieder heftigen Beifall. Und
der war verdient, präsentierte sich doch die auf einigen wichtigen
Positionen verstärkte
Vorpommersche Philharmonie schon mit Webers "Euryanthe"-Ouvertüre
als zur Hochform entschlossenes Ensemble. Man lag richtig, diese
quantitative wie qualitative Veränderung als Vorbereitung auf die
im November geplante Japan-Tournee des Orchesters zu deuten.
(…)
Ein erfrischender Weber also, der in allen seinen vielfältigen
Klangfacetten so recht zu leuchten vermochte. Für Beethovens 5.
Klavierkonzert musste man sich dann aber auf andere, großflächigere
und weniger differenzierte Farbigkeiten einstellen. Generalmusikdirektor
Mathias
Husmann hatte erneut - ebenfalls im Hinblick auf Japan - die schon
im Vorjahr präsentierte japanische Pianistin Ingrid Fuzjko Hemming
eingeladen. Mancher Besucher wird seine Schwierigkeiten gehabt
haben,
diese 76jährige, prächtig bunt gekleidete, körperlich kleine und
sehr zurückhaltend, ja wenig beteiligt wirkende Dame mit dem vielfach
angekündigten "weltberühmten Superstar" zu identifizieren. Natürlich
fehlte ihrem Beethoven kein Ton, fehlten weder Geläufigkeit
noch Kraft. Ihr Spiel verriet zudem viel von einer lebenslangen
intensiven
pianistischen Arbeit.
Andererseits erstaunten Stabilität und unverrückbare
Festigkeit eines Beethovenbildes, das sich im teils übermäßig
Kraftvollen und Statischen festlief und erst im Finale etwas
von der Stringenz
musikalischer Entwicklungen offenbarte. Ein wenig fühlte man sich
dabei "außen vor", zu wenig wirklich angesprochen. Das änderte
sich bei Brahms 3. Sinfonie gewaltig. Hier ließ Husmann vom ersten
Takt an keinen Zweifel an beidseitiger gestalterischer Kompetenz.
Ein
souverän agierender "Chef", ein motiviert reagierendes, ja mitgestaltendes
Orchester - das waren die Garanten für einen emotional geladenen,
Impulsivität und Strenge gleichermaßen berücksichtigenden, sehr
überzeugenden Brahms.
OSTSEE-ZEITUNG (Rostock) vom 23.10.2003: Bruckner
ohne Mystik aufgeführt
Greifswald (OZ) - Kommen, dirigieren,
gehen - diesen Ablauf kennen natürlich auch die Konzertbesucher
in Vorpommern, aber sie erleben ihn zunehmend in attraktiv erweiterten
Varianten. Die Einführung vor dem Konzert ist dabei so neu nicht,
die nun geplante große Gesprächsrunde danach ist es schon eher.
GMD
Prof. Husmann - um Einfälle nie verlegen - präsentierte vorgestern
eine weiteren Innovationsschub: Einführung und Demonstration
(mit dem Orchester) als Teil des Programms! Gegenstand war
Bruckners
"Achte", die er 30 Minuten lang verbal und akustisch vorstellte,
um sie dann, nach der Pause, komplett darzubieten. Husmann kann
sich das Wagnis leisten. Rhetorisch eine Wohltat, verlautbart er
sein Anliegen knapp, präzise und überzeugend, ohne jeden besserwisserischen
Unterton, als Partner des respektvoll angesprochenen Publikums
und
ganz als Diener am Werk.
Als solcher warb er natürlich für seine
Sicht auf Bruckner allgemein und die 8. Sinfonie im Besonderen
-
übrigens ziemlich jenseits gängiger Programmheftdarstellungen von
deutschem Michel, liebem Gott und Dreikaisertreffen! Wer nicht
wusste
- und das sei ohne jede Ironie gesagt - was Bruckner wirklich vermitteln
wollte, der weiß jetzt zumindest, was er für Mathias Husmann bedeutet:
eben jene Partitur, die er auf die sprichwörtliche Insel mitzunehmen
gedächte, ein Werk, das im Reichtum menschlicher Erfahrungs-
und Empfindungswelt unausschöpfbar scheint. Für die Aufführung
war das von Belang: Bruckner ohne Mystik und Ritual, ein Dirigent,
der nicht
zelebriert, und eine "Achte" von sehr diesseitiger, allerdings
höchst
differenzierter Gefühlshaftigkeit; gezügelt pathetisch die Ecksätze,
kraftvoll und von griffiger thematischer Plastizität, ein bißchen
"höllisch" der (Alb-)Traum des deutschen Michels im Scherzo, von
leidenschaftlicher Intensität das grandiose Adagio.
Es wurden
sehr konzentrierte und sehr spannende 75 Minuten, denn Husmanns
hellwache,
so sensible wie aktivierende Leitung übertrug sich nicht nur auf
die engagiert agierende Vorpommersche Philharmonie, sondern auch
auf ein dankbares und begeistertes Publikum. Konzert am 30.10.
im Theater Stralsund.
Berliner Morgenpost vom 15.02.2002: DSO
schüttelte die Pointen aus den Cellosaiten
So ein Spaß! Am Rosenmontag stellte sich
das Deutsche Symphonie-Orchester in der Philharmonie mit einem schier
einzigartigen Solisten vor: Dieter Hildebrandt. Er bescherte dem
vor Gelächter schier explodierenden Haus ein durchtriebenes Vergnügen:
ein Marathon-Kabarett sozusagen mit musikalischem Goldrand. Statt
Pointengeklecker zwei Stunden lang Pointengeklotze - wie aus dem
Ärmel geschüttelt.
Das DSO hat mit dieser Rosenmontags-Gala
jedenfalls das große Los gezogen, geschaffen, die populären Silvester-
und Neujahrskonzerte in aller Welt auszustechen. Sie segelt,
von
der Brise stürmischer Zustimmung getrieben, wenn auch in ganz eigenem
Stil auf dem einzigartigen Kurs der unvergessenen Londoner Gérard-Hoffnung-Konzerte
dahin. Weiter so! Zwei kongeniale musikalische Mitarbeiter an
Hildebrandts
Seite: Werner Thomas-Mifune, Komponist und Cellist, und der gutgelaunte,
liebenswürdige Mathias Husmann als Dirigent.
Unter bunten Regenschirmen
entfaltete sich Chopins "Regentropfen"-Prélude alles andere
als knochentrocken, und wie Thomas-Mifune, unabschüttelbar
einen Cello-Kollegen im Nacken, mit zwei Bögen, also vierhändig
sozusagen, den "Frühlingsstimmenwalzer"
auf einem einzigen Instrument strich, das gehörte schon unter die
musikalischen Zirkusnummern von Weltrang, zumal wenn man ihn erst
einmal ohne Netz auf dem Hochseil spielt.
Auf das des aggressiven, meisterlich geschliffenen
Humors hob Hildebrandt das Konzert mühelos immer wieder hinauf und
wischte ohne jede "entscheidungsfreudige Hilfssumme" (wie man Bestechungsgelder
laut Hildebrandt neuerdings nennt) aus den "Musikentsorgungsgesichtern",
wie sie Politiker beim zwangsweisen Anhören von Festmusiken gern
aufzusetzen lieben. Davon in der Philharmonie ringsum keine tranige
Spur.
Hamburger Abendblatt vom
24.03.1992:
Symphoniker spielten
Tschaikowskv, Mozart und Sibelius
Ein Talent zu Recht gefördert
Hamburg - Rund 20 Jahre ist
es her, daß Mathias Husmann das Harvestehuder Studentenorchester
leitete. Inzwischen unter anderem Generalmusikdirektor in Ulm, kehrte
der gebürtige Hamburger jetzt an die Stätte seiner Anfangserfolge
zurück und dirigierte die Hamburger Symphoniker in der Großen Musikhalle.
Dabei gab es auch ein Wiedersehen mit dem jungen Cellisten Alban
Gerhardt. Gerd Albrecht hatte ihn 1990 in der Reihe "Philharmonie
stellt vor" gefördert - zu Recht! Denn überwältigend perfekt und
ausdrucksvoll, mit nie erlahmender Intensität, spielte Gerhardt
die Rokoko-Variationen von Tschaikowsky.
Dagegen machte Husmann zunächst bei Tschaikowsky und Mozart überwiegend
nur den Eindruck solider Genauigkeit. Daß er fürs Andante der "Prager
Sinfonie" den Taktstock weglegte, um den Klang noch sorgsamer zu
modellieren, zahlte sich immerhin sehr schön aus.
Restlos überzeugend aber gelang erst die Aufführung der 2. Sinfonie
von Sibelius. Husmann beherrschte nicht nur die Partitur auswendig;
er zeigte sich bis in die Generalpausen hinein mit dem Geist dieser
Musik intim vertraut. Das an diesem Abend stets tadellose Orchester
folgte ihm über alle Klippen mit grandioser Dynamik.
z. r.
Aus: Kurt Heinz: 200 Jahre Nationaltheater
Mannheim, (Südwestdeutsche Verlagsanstalt)
"(…) Als Nachfolger wurde der junge
Mathias Husmann verpflichtet, der zunächst als Mozart-Dirigent bei
den auf diesem Sektor nicht verwöhnten Mannheimern berechtigtes
Aufsehen erregte. Nach der Übernahme von „Entführung“ und „Cosi
fan tutte“ in Repertoire-Aufführungen konnte man am 3. September
1976 in der Rhein-Neckar-Zeitung lesen: „Husmann ist der geborene
Mozart-Interpret. Er dirigiert lebendig und präzise, geht sehr wach
und sensibel auf kleinste Nuancen ein, versteht sicher zu führen,
auch die Sänger, und ist doch geschmeidig genug, sich auf die Solisten
einzustellen, auf ihre Eigenart Rücksicht zu nehmen. Klang und Lautstärke
des Orchesters dosiert er aufs Feinste.“
Hamburger
Abendblatt vom 23.02.1973:
Jeden Monat ein
Konzert
Mathias Husmann: Junger Dirigent setzt sich durch
In der Reihe "Podium der Jungen"
leitet Mathias Husmann am 28. Februar sein Harvestehuder Studentenorchester
im Funkhaus. Mit demselben Orchester hat er im Dezember ein Konzert
im Pädagogischen Institut gegeben, mit den Hamburger Symphonikern
eines im Januar in der Großen Musikhalle, dieses aus Anlaß seiner
Diplomprüfung. Mit drei großen Schritten betritt ein junger Dirigent
seine Laufbahn.
Jeden Monat auf dem Dirigentenpult? Das hatte er sich nicht erträumt,
als er unter dem Flügel seiner Mutter saß, wenn diese, die Pianistin
Adelheid Zur, Schülerin Eduard Erdmanns, in ihrem schönen Blankeneser
Hause übte. Auch noch nicht, als er mit 12 Jahren bei Peter Hartmann
Musik vom Klavier her verstehen lernte und in jeder Religionsstunde
eine Fuge unter dem Schultisch schrieb.
Der 15jährige trug seine Kompositionen zu Christoph Hohlfeld. Der
nahm erst einmal sein Komponieren in strenge Zucht. Fortan brauchte
sich Jens Langeheine, der Mitschüler auf dem Blankeneser Gymnasium,
nicht mehr mit so teuflischen Geigenakkorden zu plagen, wie er sie
in Husmanns Trio gefunden und brav gemeistert hatte. Dann begann
Mathias Husmann bei Hohlfeld eine Musiklehre, die ihn in vier Jahren
so weit förderte, saß er beim Eintritt in die Hochschule in Theorie
und Kontrapunkt schon sattelfest war.
Gleich nach seiner Diplomprüfung stattete er seinen Lehrern Dank
ab. Er holte seine Mutter als Solistin für Schumanns Klavierkonzert,
er brachte Hohlfelds "Festliches Vorspiel" zur Erstaufführung, beides
im vorigen Jahr und beides mit dem Studentenorchester. Inzwischen
ist es auf 60 Spieler angewachsen; nicht nur Musikstudenten und
Schulmusiker, auch Naturwissenschaftler sind darunter, die jede
Woche ernsthaft proben.
Wohl hatte Mathias Husmann, wenn er gelegentlich das Blankeneser
Schulorchester leitete, den Wunsch empfunden, Dirigent zu werden.
Aber ob jemand das Zeug zum Orchesterleiter hat, ist selbst während
des Studiums kaum auszumachen. Es zeigt sich erst im praktischen
Umgang mit gestandenen Musikern. Was sich dafür lernen läßt, das
wuchs ihm in fünf Jahren bei Wilhelm Brückner-Rüggeberg zu, in einem
Kreis von Studenten, die unter der pädagogischen Hand ihres Meisters
im Geist musikalischer Kameradschaft leben.
Inzwischen ist der Komponist Husmann nicht untätig gewesen. Es sind
Kammermusiken entstanden und Lieder auf Texte von Krolow, Bachmann
und Celan. Auch zum Thema seiner schriftlichen Prüfungsarbeit hatte
er sich ein Lied gewählt. Als eine der nächsten Aufgaben schweben
ihm Schumanns kaum je aufgeführte Szenen aus Goethes "Faust" für
Chor, Soli und Orchester vor.
Nicht nur dem Wort, auch dem Bild ist Mathias Hausmann aufgeschlossen
und zugetan: der Sohn des Kunstmalers und Graphikers Fritz Husmanns
betreibt das Zeichnen als Hobby. Stärker indes hat das Erbe der
Mutter durchgeschlagen, die als Dozentin an der Musikhochschule
wirkt. Schon hat er seinen Einstieg in den Beruf gefunden, als Solo-Korrepetitor
an der Staatsoper. Ob zur Bühnen-, ob zur Konzertmusik - dieser
weitere Weg steht offen.
RUDOLF MAACK
Fotos
Mathias Husmann
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Frauke Wehrmann
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